Wie Innovationsräume den glücklichen Zufall schmieden
Matt Denny von NAVALX – die Innovation Unit der US Navy und des US Marine Corps –hatte einmal ein Riesenproblem, für das er keine Lösung wusste. Um seinen Kopf freizumachen, ging er raus zum Spazieren. Er setzte sich auf eine Bank, trank eine Coke, und sprach mit dem 16-Jährigen, der zufällig neben ihm saß. Und der brachte ihn tatsächlich auf eine zündende Idee, die er dann bei NAVALX erfolgreich implementierte.
Matt sagte: Das Geheimrezept von NAVALX ist es, eine Begegnungsstätte zu schaffen, in der sich Menschen vernetzen können. Die Soldaten müssen aus ihren Bases raus, weil Kreativität und Innovation erst dann entstehen, wenn man mal wo ist, wo man nicht mehr alles so macht wie man es immer gemacht hat.
Wenn man etwas Neues ausprobieren will, dann braucht man eben auch Räume, die anders sind und die das Neue ermutigen. Es ist verdammt schwer, Innovation im bestehenden Geschäft zu machen, und es wird umso schwerer, wenn die Organisation groß und historisch gewachsen ist.
Volkswagen muss das bestehende Geschäft am Laufen halten, Tesla kann ohne jede Vorbelastung direkt mit neuen Produkten den Markt vor sich hertreiben. „Run the Business“ und „Change the Business“ zur gleichen Zeit ist hart zu machen. Wenn man sich vor allem darum sorgen muss, dass das Geschäft läuft, hat man keine Offenheit mehr für Innovation.
Serendipity: Der aktive Zufall
Im Englischen gibt es den Begriff der „Serendipity“, der nicht einfach zu übersetzen ist. Serendipity heißt so etwas wie: „glückliche Fügung“, aber es ist nicht einfach nur pures Glück oder reiner Zufall. Sondern es braucht ein aktives Element, also etwas, wo jemand einen Zufall als Chance erkennt und diese Chance aktiv nutzt.
Das ist auch eine Mindset-Frage. In einem Experiment haben Forscher Versuchspersonen gebeten, in einem Café auf ihren Interviewpartner zu warten. Auf dem Flur vor der Kasse platzierten die Forscher einen 5-Pfund-Schein. Und der einzige freie Stuhl in dem Café war wie ganz zufällig neben einem Lockvogel, den die Forscher auch dort platzierten. Anschließend fragte man die Versuchspersonen, wie ihr Tag so war.
Gruppe 1 sagte: Der Tag lief sehr gut, denn man hat fünf Pfund gefunden und dann lernte man zufällig einen Investor kennen, der einem richtig gute Tipps gab und mit dem man nun befreundet ist.
Gruppe 2 sagte: Der Tag lief schlecht – weil man übersah, dass dort fünf Pfund liegen, und an den freien Platz setzte man sich vielleicht zwar, aber begann kein Gespräch mit dem vermeintlich zufälligen Sitznachbarn.
Wir müssen diejenigen finden, die das Geld auf der Straße liegen sehen und es aufheben; diejenigen, die den unscheinbaren Typen neben dir ansprechen und feststellen, dass man sich viel zu sagen hat. So entsteht Innovation.
Innovation aus Zufall
Wissen Sie, wie beispielsweise Penicillin erfunden wurde? Durch Zufall! Alexander Fleming hatte Bakterien in einer Petrischale gezüchtet, und aus Nachlässigkeit vergessen, die Petrischalen vor dem Urlaub zu entsorgen. Nach dem Urlaub hatten sich dort Schimmelpilze gesammelt. Aber anstatt die Schalen einfach wegzuwerfen, entdeckte er: Die Bakterien rund um die Schimmelpilze waren weg! Und so entdeckte er Penizillin.
Ganz ähnlich ist die Geschichte von Post-It Notes, dem Rollkoffer, oder dem Teebeutel. Viele Innovationen verdanken wir einem glücklichen Zufall – und dass es jemanden gab, der die Chance aktiv nutzte.
Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Busch hat an der LSE und der New York University diese zufällige Entstehung von Innovationen erforscht. Und er behauptet: Man kann ein „Serendipity Mindset“ tatsächlich schaffen. Man braucht also nicht auf glückliche Zufälle einfach zu warten, in der Hoffnung, dass es irgendwann eintritt. Sondern man kann Bedingungen schaffen, unter denen der glückliche Zufall wahrscheinlicher wird.
Wie das geht? Christian Busch sagt: Das geht, indem man Menschen aus ihren Silos befreit und sie zum kreativen Austausch bringt. So treffen sich Menschen, die sich sonst nie getroffen hätten, und entdecken und erfinden Dinge, die sie sonst nie entdeckt oder erfunden hätten.
Innovation Units sind „Serendipity Engineers“
Genau dafür braucht es Innovation Units: für den glücklichen Zufall. Büros, die auf den ersten Blick nicht wie Büros aussehen, haben ein Konzept: Du triffst neue Leute, teilst mit ihnen Ideen, Visionen, Herzblut und Leidenschaft, findest Dinge, die du nicht gesucht hast und erlebst Vielfalt und Überraschungen, die deine Projekte und Deine Persönlichkeit wachsen lassen.
Innovation Units sind meistens bunte, fancy designte Räume, aber sie sind weit mehr. Es geht um besondere Atmosphäre und Gründergeist, um Neugier, Testen und Ausprobieren, um das Teilen von Wissen und Erfahrungen statt um das möglichst gute Geheimhalten des eigenen Wissens, damit andere bloß nichts stehlen oder kopieren. Man geht in den Austausch, man öffnet sich, jeder trägt bei, und es entsteht eine ganz besondere Dynamik. Dazu gehören auch, Workshops, Konferenzen und Wettbewerbe mit Präsentationen und Pitches von Ideen und Konzepten.
Agilität ist nicht Beliebigkeit
Agile Methoden heißt dabei nicht Beliebigkeit. Auch Innovationseinheiten arbeiten mit klaren Zielen. Im Cyber Innovation Hub der Bundeswehr nutzen wir eine Methode, die sich „Objectives & Key Results“ oder kurz OKR nennt. Das ist eine Management-Methode, die Google seit 20 Jahren anwendet. Bei diesem Modell treffen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig, um ihre Ziele abzustimmen, mit dem Chef genauso wie mit den Kolleginnen und Kollegen, und tragen die Ziele in einer Software (Excel geht auch...) ein. Jeder sieht die aktuellen Projekte. So stellt man sicher, dass alle an einem Strang ziehen und nicht aneinander vorbei arbeiten. So werden die Ziele klar. Was nicht auf die Zeile einzahlt, ist Prio B. Wie genau die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Ziele umsetzen, entscheiden sie selbst.
Ähnlich übrigens wie bei der Auftragstaktik in der Bundeswehr: Wenn eine Einheit den Befehl erhält, einen Hügel einzunehmen, dann ist das Ziel definiert. Wie genau die Einheit den Hügel einnimmt, ist im Wesentlichen ihr selbst überlassen.
Das unterscheidet die Auftragstaktik von der Befehlstaktik, wo jeder einzelne Schritt geklärt werden muss. Da ist wenig Spielraum für Ausprobieren vor Ort. Das wäre, wie wenn man im Unternehmen sagen würde: „Wir haben doch schon ein Zentralbüro, die weisen die Innovationsabteilung schon richtig an, wie sie Innovation machen sollen. Wozu brauchen wir dann noch eine Innovation Unit?“. Das kann man zwar sagen, aber man wird damit nicht erfolgreich sein.
Innovation Units sind Räume, die Menschen zusammenbringen, sie zum Ausprobieren und Improvisieren einladen, und die ein anderes, kollaboratives Arbeiten erlauben, das am Ende Ideen und Projekte generiert, die es sonst nicht gegeben hätte.
Sie müssen sich das vorstellen wie eine Lichtung: Man läuft durch den Wald, verstrickt sich im Dickicht der Bäume, muss alle Energie darauf verwenden, den Weg weiterzugehen, und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Dann kommt man an eine Lichtung – man schaut nach oben, sieht den Himmel, und weiß endlich, dass es mehr gibt da draußen als nur den Wald. Neue Horizonte nämlich.
Gehen Sie raus aus Ihren Bases, spazieren Sie im Wald, trinken Sie eine Coke, und setzen Sie sich auf eine Parkbank.
So entsteht Innovation.
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Photo by Erik Mclean on Unsplash
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